Missliche Lage am Cabot Trail
«Man fährt über kurvenreiche Straßen vorbei an heiteren Seen. Seeadler kreisen hoch in der Luft, und von den Klippen bietet sich ein atemberaubender Ausblick.», so die Beschreibung unseres Reiseführers zum berühmten «Cabot Trail», einer 300km langen Küstenstrasse in Cape Breton.
Da wollen wir hin!
Wir machen uns also auf und fahren erst bis Baddeck, dem Ausgangspunkt des Trails. Hier wollen wir den anhaltenden Dauerregen ausstehen und vertreiben uns die Zeit mit einem Besuch der Abraham Graham Bell National Historic Site, einem Museum über das Leben und die Errungenschaften des Erfinders des Telefons, der sich hier niedergelassen hat, um kreativ zu sein.
Am Vorabend unseres geplanten Starts wollen wir uns noch bei einem Kaffee (im Tim Hortons natürlich) die nassen Glieder aufwärmen und da passiert es: Mathias merkt es noch im selben Moment als er die Hintertür von Baloo zuschlägt. Alle Verriegelungsstifte sind nach unten gedrückt, die beiden Vordertüren bereits verriegelt und der Schlüssel liegt auf dem Kühlschrank IM Auto. Ich stehe bereits draussen mit lediglich etwas Kleingeld in der Hosentasche und über den versteckten Notschlüssel im Motorraum haben wir bisher nur gesprochen, aber nie einen versteckt. Auf dem Atlantik haben wir noch Witze darüber gemacht, wie lange es wohl dauern wird, nun ist es nach nicht einmal zwei Tagen unterwegs bittere Tatsache: Wir haben uns ausgesperrt!
Nun, was machen? Diesen Abend haben wir uns definitiv gemütlicher vorgestellt. Die Stimmung sinkt rasant, wie übrigens auch die Aussentemperaturen, dem Gefrierpunkt entgegen. Es ist bereits 7 Uhr abends, also alle Garagen oder Locksmith’s, die uns evtl. hätten helfen können, haben geschlossen.
Einen kleinen Trost gibt es dennoch. Mathias hat wenigstens sein Handy dabei und im Tim Hortons gibt es freies Wifi. Also machen wir uns mal über Youtube schlau, wie man denn so ein Auto knackt. Dabei stossen wir als erstes auf den «Schlaufentrick». Beim Schlaufentrick knotet man eine Schlaufe in ein Seil, die sich beim Ziehen des einen Endes des Seils zuziehen lässt.
Und nun zum Trick: Man versucht das Seil zwischen Tür und Carrosserie hindurch zu quetschen, soll dann mit Fingerspitzengefühl und Millimeterarbeit die Schlaufe über den Verriegelungsstift stülpen, die Schlaufe zuziehen und so den Stift nach oben ziehen, damit das Auto anschliessend wieder offen ist. Sieht im Video super easy aus – also nichts wie los und im nahegelegenen Walmart ein Seil kaufen.
Als der Regen gerade in Schneeregen übergeht, haben wir unsere Schleife geknotet und versuchen uns am Praxistest. Auch nach mehrfachen willensstarken Versuchen bleiben wir erfolglos. Keine Chance dieses Seil da hinein zu quetschen! Wir retten uns wieder ins trockene Tim Hortons.
Wir müssen wie ein Häufchen Elend aussehen, so völlig durchnässt und bibbernd. Eine Angestellte wird jedenfalls auf uns aufmerksam und fragt, ob alles OK sei. Wir schildern ihr unser Problem. Sie drückt sogleich ihr Mitgefühl aus («Oh Shit, that’s bad»), meint dann aber wir sollen es einmal bei der Polizei versuchen, die hätten früher jeweils geschlossene Autos aufgebrochen. Sie tippt die Nummer in ihr Telefon und streckt uns den Hörer entgegen.
2 Minuten später die ernüchternde Antwort – «We don’t do that anymore!»
Was sollen wir bloss machen?! Es muss doch irgendeine Lösung geben! Ich kann mir echt schönere Übernachtungsplätze ausdenken als diese Imbissbude.
Überlegen…
Nach ein paar Minuten überlegen, kommt die Dame mit dem Telefon nochmals an unseren Tisch und fragt, was wir nun tun werden (hat wohl schon Angst um ihren Feierabend gekriegt). Da steht plötzlich ein anderer Gast voller Stolz vor uns und meint «I can open your car», guckt fragend zur Angestellten, «if you have a hanger». – «Of course», und grinst.
Der Mittvierziger mit Schnurbart, Bierbauch und sympathischem Lachen biegt sich mir nichts dir nichts den Bügel zurecht, geht raus (habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ein eisiger Wind weht?!)…egal, der Regen peitscht ihm ins Gesicht und nach nur wenigen gezielten Bewegungen ist die Tür wieder offen. Hurra, das ging ja schnell! ... Moment mal, scheisse ging das schnell! Schliessen überflüssig?!
Ah ja, der Cabot Trail war dann übrigens ein Traum, aber seht selbst: