Neues Land, neues Leben
Heute beginnt für uns ein neues Kapitel. Wir verlassen die USA nach fünf Monaten und fahren über die Grenze nach Mexiko. Zugegeben, wir sind ziemlich nervös! Einerseits, weil wir (noch) kein Spanisch sprechen und andererseits, weil noch keiner von uns je in einem lateinamerikanischen Land gereist ist und wir einfach Respekt vor dem Unbekannten haben.
Wir haben uns in den letzten Tagen noch eine SIM-Karte inkl. unlimitiertem Daten-Abo von AT&T besorgt, das ganz Mexiko abdeckt und fahren nun mit randvollen Wasser- und Dieseltanks auf der I-5 nach Süden. Die Grenze befindet sich nur einen Katzensprung von unserem Camping in San Diego entfernt und ehe wir uns versehen, befinden wir uns in Tijuana und haben mexikanischen Boden unter den Rädern.
Entgegen aller Erwartungen finden wir einen völlig ruhigen Grenzbereich vor (wir sind sogar die einzigen Personen im Immigration Office) und können völlig problemlos innerhalb von 45 Minuten die administrativen Notwendigkeiten für unsere Einreise, sowie für die temporäre Einfuhr von Baloo erledigen. Die Grenzbeamten sind sehr hilfreich und sprechen sogar ein wenig Englisch, was das ganze Prozedere sehr erleichtert. (Detailliertere Infos zur Ausreise aus den USA und zur Einreise nach Mexiko haben wir separat niedergeschrieben).
Als wir vor ein paar Tagen noch in San Diego auf dem Parkplatz der Outlet Mall standen, die sich direkt an der Grenze befindet und wir bereits rüber auf die andere Seite der Mauer auf die riesige im Wind flatternde mexikanische Flagge blickten, haben wir zueinander gesagt: „Sooo komplett anders als hier kann das dort drüber ja wohl nicht aussehen … nur so wenige Meter entfernt“.
Nun … wir haben uns getäuscht! Als wir aus dem Grenzbereich raus und nach Tijuana rein fahren, befinden wir uns schlagartig in einer anderen Welt. Die Strassen sind merklich holpriger und wir müssen auf einmal auf Schlaglöcher achtgeben, streunenden Hunden auf und neben der Strasse ausweichen und beim Aussteigen aufpassen, dass wir nicht in einen Haufen Müll treten. Unser Weg wird gesäumt von schräg in der Landschaft stehenden Betonwürfeln und wir lernen auch die berühmt berüchtigten „Topes“ kennen … und fürchten.
Topes sind so etwas wie Temposchwellen und können sich überall befinden - auch auf Schnellstrassen. Meist wurde lediglich etwas Beton aufgeschüttet oder manchmal liegt gar nur ein grosses Schiffstau quer über der Fahrbahn. Sie können von unterschiedlicher Grösse sein, sind aber in jedem Fall so steil konzipiert, dass man immer praktisch auf 0 Km/h abbremsen und wieder beschleunigen muss. Einfach anstrengend. Wenn man Glück hat sind die Dinger markiert. Falls man aber mal einen übersieht, ist anschliessend hinten im Auto alles neu sortiert!
Allgemein fordert uns das Fahren wieder mehr, da der Verkehr merklich hektischer ist als in den USA. Es gibt wieder Fussgänger, Fahrrad- oder Mopedfahrer und wie schon erwähnt Hunde, auf die man aufpassen muss. Steht man an einer roten Ampel, schiessen auf einmal Ananasverkäufer, Orangenjongleure und Invalide auf die Fahrbahn, die sich bei den haltenden Autos versuchen etwas Mammon zu verdienen.
Unser erstes Tagesziel heisst Ensenada. Wir haben Hunger und müssen auch unsere Vorräte aufstocken. In der Stadt angekommen, halten wir bei einem einladenden kleinen Restaurant, bei dem wir direkt vorne dran auf der Strasse parkieren und so das Auto im Auge behalten können. Wir merken schnell, dass wir hier mit Baloo auffallen und müssen erst noch herausfinden, ob und wo wir ihn in Zukunft ohne Bedenken alleine stehen lassen können und ein Gefühl für die Sicherheitslage im neuen Land erhalten. Man hört ja so einiges über Mexiko …
Beim Blick in die Speisekarte sind wir kurzzeitig ge-, um nicht zu sagen, überfordert, denn wir verstehen kein einziges Wort (etwas früher mit Spanisch lernen beginnen, hätte nicht geschadet!). Immerhin können wir dank Bildern auf der Karte zwischen Getränken und Speisen unterscheiden. Mathias deutet der Kellnerin mit dem Finger für was er sich entschieden hat. Seine Wahl fällt auf einen „pepino“ und sonst eine Aneinanderreihung von Buchstaben, die ihm wohl gefallen hat. Ich entscheide mich für einen „limón“ und ebenfalls was zu essen mit „cilantro“. Immerhin konnte ich bei Ersterem dank meinen Französischkenntnissen ableiten, dass es sich dabei wohl um ein zitrusfruchtartiges Getränk handeln muss, was ich bei den herrschenden Aussentemperaturen als Erfrischung sehr begrüsse und bei Zweitem lasse ich mich ebenfalls überraschen.
Ein paar Minuten später erhalten wir dann unsere Bestellung. Wir bekommen je ein Mixgetränk aus Wasser und der bestellten Zutat inkl. Eiswürfeln serviert. Einmal wurde das Wasser mit frischer Gurke gemixt und einmal mit Zitrone, wie schon erwartet. Zudem blickt Mathias auf ein lecker aussehendes Sandwich mit viel Grünzeugs und Salat als Beilage und vor mir steht ein etwas weniger lecker aussehender Wrap. Das liegt aber vor allem da dran, dass er mit Koriander gespickt ist. Ich HASSE Koriander! Immerhin habe ich nun gerade der erste Begriff in meinen Spanischwortschatz aufgenommen: cilantro = Koriander.
Zudem läuten bei mir beim Blick auf unsere Mahlzeit sofort die Alarmglocken und ich höre die Stimme von meiner Mutter im inneren Ohr: „Boil it, peel it or leave it!“ … „und jaaaaa keine Getränke mit Eiswürfeln bestellen!“
Hmm … ist gerade etwas schwierig jetzt diesem Tipp Folge zu leisten. Der Hunger siegt und wir essen alles ratzeputz auf. Also ich das Sandwich und Mathias den Wrap …
Etwas unsicher sind wir danach aber schon, ob wir das Essen gut vertragen werden und wir sind hin- und hergerissen zwischen „wir werden gar keine Beschwerden haben“ und „Scheisse, jetzt haben wir uns sicher mit Typhus angesteckt“ (die Tabletten für die orale Typhusimpfung liegen nämlich noch bei uns im Kühlschrank und warten darauf eingenommen zu werden).
Der Tag geht dann etwa im gleichen Takt weiter. Beim Einkaufen im Soriana sind wir unsicher welche Lebensmittel wir kaufen sollen, denn es gibt viele Dinge, die wir nicht kennen. Geldabheben funktioniert erst bei der dritten Bank (Santander). Öffentliche Toiletten finden wir zwar an den Tankstellen, aber WC-Papier ist hier nicht so wichtig … umso wichtiger, dass man selber immer welches dabei hat und zum Spülen steht dann ein Eimer Wasser parat. Und apropos tanken: Da soll man ja genau aufpassen, dass man nicht abgezogen wird …
Am Abend fahren wir auf einen Camping und sind froh, dass der Besitzer etwas Englisch spricht. Wir sind müde und komplett am Ende mit den Nerven. Zu viele neue Eindrücke. Zu viel Unbekanntes, womit wir uns erst arrangieren lernen müssen. Natürlich kommt erschwerend hinzu, dass wir nun das erste Mal seit fast einem Monat wieder allein unterwegs sind und wir gestern von lieben Menschen Abschied nehmen mussten, was unsere Gemütslage zusätzlich verschlechtert. Wir fühlen uns als hätten wir einen Teil von uns in San Diego zurückgelassen.
Ironischerweise sind genau die Dinge, denen wir in den USA zuletzt überdrüssig waren – Einfältigkeit, fehlender Charme, immer gleich aussehende Malls und Restaurants – genau die Dinge, die uns jetzt in diesem Moment fehlen. Nach dem Start der Reise haben wir uns in den letzten fünf Monaten nach und nach wieder in einer Komfortzone erschaffen, in der wir es uns bequem gemacht haben. Und diese mussten wir nun am heutigen Tag verlassen.
Morgen ist zum Glück ein neuer Tag und dann sieht die Welt sicher schon wieder ganz anders aus!
Blowhole Ensenada