Freitag, der 13.
«I like your car!» Der Fahrer eines weissen vorbeifahrenden Chevi-Pickpus schreit uns auf der Autobahn bei heruntergekurbelter Scheibe lauthals zu. «Where are you heading to?» Etwas überfordert mit dieser eher unkonventionellen Art der Begrüssung antworte ich bloss «West…we’re heading west.» - «I couldn’t understand you!» - Ich, was die Kehle hergibt: «Cleveland, and after…» mit einem sofortigen «OK, follow me!» werde ich unterbrochen.
Was jetzt? Er will, dass wir ihm folgen? Wo will er denn hin? «Vielleicht will er uns was Interessantes in der Stadt zeigen», meint Mathias begeistert und reiht sich sogleich hinter dem Unbekannten ein. «Solange wir im Fahrzeug bleiben, kann uns ja nichts passieren!» Gekonnt werden wir durch den Feierabendverkehr von Cleveland gelotst, immer konzentriert darauf das goldene verzogene Kreuz nicht aus den Augen zu verlieren. Der hat vielleicht ein Tempo drauf!
Vorbei an der Rock n’ Roll Hall of Fame, die wir eigentlich besuchen wollten, geht’s mitten durch Downtown, bis wir in Ohio City, einem Suburb von Cleveland, zu stehen kommen. Der Fahrer, ein ca. 40-Jähriger in Handwerkerkleidung, Baseball-Cap und Hang-Loose Armband steigt aus und begrüsst uns. «Hi, im Toby…if you don’t know where to sleep, this is your place for tonight» und zeigt in den Hinterhof des kleinen weissen Häuschens, vor dem wir stehen,das definitiv schon bessere Tage gesehen hat. Leicht schräg steht es in der Landschaft und die weisse Farbe blättert überall ab, aber der Garten sieht ganz nett aus.
Ich bin skeptisch. Wir kennen den doch gar nicht! Andererseits haben wir tatsächlich noch keinen Schlafplatz für die Nacht und das Angebot ist zugegebenermassen sehr verlockend. Ohne gross eine Entscheidung unsererseits abzuwarten, öffnet Toby das Gartentor. «Just drive back in», und wenige Sekunden später steht unser Auto in einem wildfremden Backyard…unsichtbar für Andere…in einer riesigen Stadt.
Wir können seine Bikes brauchen, falls wir heute Abend noch in die Stadt wollen, fährt Toby fort, selbstverständlich dürfen wir auch in seiner Wohnung übernachten und duschen und drückt uns sogleich einen Wohnungsschlüssel in die Hand. Kurz, wir sollen uns einfach wie zu Hause fühlen bei ihm. Er sei selber viel gereist und habe die Gastfreundschaft anderer immer sehr geschätzt, so dass er diese Tugend wenn immer möglich weitergeben will. Ok, klingt nett, geht mir aber in dem Moment trotzdem etwas schnell und ich versichere ihm, dass unser Auto zum Schlafen völlig OK sei. Dankend nehmen wir die Fahrräder entgegen und fahren zur Rock n’ Roll Hall of Fame.
Auf dem Weg dorthin sind wir immer noch ziemlich baff ab der Einladung und fragen uns, ob wir ihm wirklich vertrauen können. Ich bin ja nicht abergläubisch, aber heute ist Freitag, der Dreizehnte.
Die Rock Hall schliesst heute früher. Es werden gerade die letzten Gäste verabschiedet als wir ankommen. Mist! Wir dachten wir lassen uns Zeit in der Stadt, kehren spät zu Toby zurück, gehen direkt Schlafen und werden uns am nächsten Morgen früh verabschieden.
Ein bisschen ratlos, was wir nun tun sollen, kehren wir ins nächste Pub ein und trinken erstmal ein Bier. Danach sieht meine Welt auf einmal viel entspannter aus und wir entscheiden zurück zu fahren und Toby zu fragen, ob er mit uns noch was trinken gehen will.
Als wir ankommen, ist er gerade fertig mit Rasenmähen, meint er hätte den Garten noch ein bisschen schöner herrichten wollen für uns.
Was danach geschieht ist einfach nur unglaublich. Wir gehen noch mit Toby aus. Er zeigt uns seine Lieblingsorte in der Stadt, den Strand und die coolsten Bars. Wir gehen ein paar Runden Pinball spielen, kommen kurz vor Mitternacht zurück, trinken bei ihm zu Hause noch einen Absacker und führen spannende Gespräche dazu. Und…er bezahlt einfach ALLES an diesem Abend für uns.
Am nächsten Morgen muss er früh raus zur Arbeit. Wir starten noch einmal einen Anlauf, die Rock Hall zu besuchen. Sie hat nun geöffnet und wir verweilen den ganzen Vormittag in dieser riesigen Ausstellung von Artefakten vieler Musiklegenden.
Gegen Mittag kehren wir zurück und verabschieden uns herzlich von Toby, der unterdessen wieder zu Hause ist. Als Erinnerung gibt er uns noch eine 2-Dollar-Note mit auf den Weg. Habt ihr schon mal einen 2-Dollar-Schein gesehen? – Wir auch nicht! Wir überlassen ihm im Gegenzug ein paar Schokoladenmesser, über die er sich sehr freut.
Wir sind überwältigt von soviel Gastfreundschaft und können es immer noch fast nicht glauben, was passiert ist! Toby, if you read this: Thank you so much!!!
Freitage, die Dreizehnten sind für uns ab sofort Glückstage.