Wale und Mee(h)r
Kaum kommen wir auf Vancouver Island an, holt uns das schlechte Wetter wieder ein. Unsere Laune wird nicht gerade besser als wir hören, dass es hier nun den ganzen Sommer extrem trocken war und diese Woche die Erste sei, in der wieder einmal Regen fällt. Die Locals freut’s zwar …
Wir bleiben aber positiv und buchen auf Empfehlung von Arnaud hin (der fotografierende Franzose aus Watson Lake) eine Whale Watching-Tour in Campbell River. Bei dem Unternehmen «Go Wild Adventure Tours» können wir uns kurz vor Feierabend noch die zwei letzten Plätze für die morgendliche Ganztagestour auf einem Zodiac reservieren und bekommen dafür sogar noch einen Preisnachlass. Was für ein Glückstreffer!
Der nächste Tag beginnt früh für uns, denn ohne wärmenden Kaffee wollen wir an diesem kühlen Morgen nicht aus dem Haus. Dick eingepackt machen wir uns danach auf den Weg zum Pier, wo der Guide und die restlichen Passagiere bereits warten. Zusammen mit zehn anderen Gästen aus der ganzen Welt werden wir den heutigen Tag auf hoher See verbringen und stets Ausschau nach den verschiedensten Meeresbewohnern halten. Es ist sogar möglich Grizzlys oder Pumas an der Küste zu erblicken (auf Vancouver Island befindet sich die höchste Dichte an wildlebenden Cougars oder Mountain Lions, wie Pumas hier genannt werden).
Wir möchten aber in erster Linie Orcas sehen. Deswegen sind wir hier und haben diese Tour gebucht. Die Chancen, den wunderschönen Schwertwalen zu begegnen, sind in diesem Ort so hoch, wie sonst nirgends. Wir sind guter Hoffnung, als wir hören, dass auf den Touren der vergangenen Tage jeweils eine von mehreren Familien in der Umgebung gesichtet wurde.
Nach einer kurzen Sicherheitsunterweisung schlüpfen wir in unsere Overalls, ziehen uns die ausgehändigten Mützen und Skibrillen über und dann geht’s auch schon los! Che, unser Guide, verkündet den Masterplan für heute: Am Morgen wird die gesamte Aufmerksamkeit der Suche von Orcas gewidmet. Es gäbe nur einige bestimmte Orte, wo sie sich aufhalten können und diese Bereiche würden wir genauesten absuchen. Heisst, alle anderen Tiere werden mehr oder weniger links liegen gelassen bis wir ein Häkchen hinter die schwarz-weissen Riesen setzen können. Danach oder spätestens nach dem Mittagessen werden wir dann noch nach anderen Tieren Ausschau halten.
Uns soll’s recht sein.
Kaum sind wir aus der Bucht raus, rasen … nein fliegen wir mit unserem Zodiac übers offene Meer. Nach windigen 20 Minuten verlangsamt Che das erste Mal die Fahrt und streckt seinen Zeigefinger nach einhundert aus. Alle Köpfe drehen sich … «there … seals» … aaahh, ach so …enttäuschte Gesichter der quirligen Engländer zu meiner Rechten… «just seals». Aber süsse Robben! Entspannt liegen sie auf dem Felsen vor uns und schauen mit ihren putzigen Köpfchen und den grossen Kulleraugen zu uns hinüber.
Wir halten nur kurz für ein paar Fotos, bevor es zügig weiter geht.
Den ganzen Morgen fahren wir verschiedene Meeresarme zwischen den unzähligen Inseln hier ab. Leider ohne Erfolg! Die Orcas wollen sich wohl heute nicht blicken lassen. Auch die anderen Touren, die heute unterwegs sind und mit denen Che in Funkkontakt steht, konnten sie nicht finden.
Schwertwale sind eigentlich gar keine Wale, sondern die grössten Vertreter der Familie der Delfine. Sie sind sehr intelligent und verschwinden daher einfach, wenn sie keine Lust auf nervige Touristenboote haben. Manchmal sind sie aber auch zum Spielen aufgelegt und bieten ihren Beobachtern eine eindrückliche Show, indem sie zum Beispiel akrobatische Sprünge vorführen.
Der Vormittag ist vorbei und der kleine Hunger macht sich langsam bemerkbar. Im Preis der Ganztagestour ist auch ein Lunch inbegriffen. Wir legen bei einer kleinen Insel an und bekommen unter einem Unterstand ein sehr leckeres Mittagessen serviert. Che packt selbstgemachte Wraps, Cookies und Erdnussriegel aus, zum Trinken gibt’s eine heisse Schokolade, Kaffee oder Tee. Genau das Richtige, denn eine halbe Stunde vor dem Erreichen der Insel hat sich der Himmel über uns entleert und ich bin (trotz Michelin-Männchen-Anzug und Kleidung gemäss Zwiebelprinzip) bis auf die Knochen durchgefroren.
Nach dem Mittag kommt die Flut, die in kurzer Zeit viel Wasser in die schmalen Meeresarme drückt. Es entstehen Strudel auf der Wasseroberfläche, die uns Che auf eindrucksvolle Weise nähert bringt, indem er mitten in einen Wirbel reinfährt und wir, wie auf einem Karussell, einmal um die eigene Achse gedreht werden.
Mit der Flut entstehen aber nicht nur Wirbel, sondern es werden auch Lachse vom Meer in Küstennähe getrieben. Darauf haben einige Räuber schon die ganze Zeit gewartet. Seelöwen, die vor der Mittagspause noch faul und breit auf den Klippen lagen, bewegen sich nun agil durch die Strömungen und fischen die Lachse gezielt und geschickt heraus. Auch der eine oder andere Weisskopfseeadler erhebt Anspruch auf seinen Teil im Schlaraffenland.
Unsere Befürchtung ist nun leider Tatsache geworden. Wir werden heute keine Orcas mehr zu Gesicht bekommen! Das «Guarantee of Whale Sightings, otherwise You Get Your Money Back“-Versprechen des Tourenanbieters soll jedoch keine Touristenfang-Floskel bleiben, sondern wird ernst genommen. Che ändert unsere Fahrtrichtung und nimmt Kurs aufs offene Meer hinaus. Dort halten sich zu dieser Jahreszeit Buckelwale auf, die sich ihre Bäuche am reichen Nahrungsangebot vollschlagen.
Und tatsächlich … bereits nach kurzer Zeit zeigt sich eine erste sanft geschwungene dunkelgraue Flosse auf der Wasseroberfläche. Sie taucht mehrere Male auf und wieder ab, bis der Wal tief Luft holt und zu einem tiefen Tauchgang ansetzt. Er zeigt nun seine Schwanzflosse, die steil aus dem Wasser ragt und in Slow-Motion in den Tiefen des Ozeans verschwindet. Von diesem Zeitpunkt an dauert es normalerweise 5-10 Minuten, bis der Wal wieder Luft braucht und die Flosse an der Wasseroberfläche auftaucht.
15 Minuten später ….
… immer noch keine Spur. Irgendwo muss er sein! Alle schauen gespannt aufs Wasser, jeder in eine andere Richtung. Lange kann es nicht mehr dauern. Und dann plötzlich … wie aus dem Nichts taucht ein Walkörper direkt vor unserem Boot auf! In Echtgrösse! Riesig! Der vermisste Humpback ist aus dem Wasser gesprungen und lässt sich rücklings mit einem lauten Knall darauf zurückfallen. Wasser überall! So schnell wie er aufgetaucht ist, ist er auch wieder verschwunden! Wir sind baff, können gar nicht glauben, was gerade passiert ist!
Der grosskotzige Brite zeigt stolz allen sein geschossenes Foto. Wie schade, dass er die Wassertröpfchen auf seiner Linse vorher nicht geputzt hat!
Wir fallen an diesem Abend müde, aber glücklich ins Bett. Am Tag danach machen wir im Regenwald von Campbell River eine lange Wanderung zu den Elk Falls und lassen das Erlebnis nochmals Revue passieren.
Der Name ist Programm!