Ein Abstecher ins Nichts
Mein Badeexzess ist zwar noch nicht so lange her, aber wenn ich das Wort «Hotsprings» höre, läuten in meinem Hirn die Alarmglocken, alle bisherigen Pläne werden dann sofort über den Haufen geworfen und neue geschmiedet.
Mathias war schnell überredet. Wir fahren zu den Sloquet Hotsprings, die sich im Süden von British Columbia befinden.
Zuerst setzen wir aber mit der Fähre von Vancouver Island nach Vancouver City über und verbringen auch noch einen Tag in der Stadt, bevor es weitergeht.
Ein Tag, der ganz im Zeichen des Genusses steht. Diejenigen, die uns kennen, wissen, dass wir gerne gut essen, gerne neue Spezialitäten ausprobieren und dies am liebsten in einem schönen Ambiente. Leider sind Lokale, wo richtige Gaumenfreuden zu finden sind, in Amerika dünn gesät (da unterscheiden sich Kanada und die USA kaum). Umso mehr, freuen wir uns daher über Vancouver: Charmante Cafés, Restaurants mit Speisen aus der ganzen Welt, Microbreweries an jeder Ecke und man sieht Leute, die Wein! trinken. Wir konnten all den verführerischen Angeboten einfach nicht widerstehen: Am Morgen gibt’s echten italienischen Espresso im Bellagio an der Waterfront. Auf dem Weg zur Steam Clock halten wir bei Starbucks für zwei Eggbites mit Speck und Schweizer Gruyère. Zum Mittagessen befinden wir uns auf Granville Island und bestellen in der gleichnamigen Brauerei ein «Plättli» mit feinstem Fleisch, Käse (hatte schon fast vergessen, dass es den auch in einer anderen Farbe als orange gibt) und Oliven. Dazu teilen wir uns einen Beer Flight bestehend aus Degustationsproben aller zehn Biersorten, die hier in der Brauerei hergestellt werden (insgesamt 3 Liter Bier xD). Ein spezielles Schokoladebier hat mir dabei besonders geschmeckt. Zum Dessert gönnen wir uns im Market nebenan noch ein zuckersüsses zartschmelzendes Chocolate-Cheesecake-Törtchen, bevor wir wieder zurück zu unserem Auto gehen und uns für den Abend parat machen.
Wir haben einen Tisch im West reserviert, einem stylisch eingerichteten Nouvelle Cuisine Restaurant mit wunderbarem Ambiente und geniessen dort zum krönenden Abschluss des Tages ein 7-Gänge-Tastingmenü mit gutem Wein aus Oregon und professionell geschüttelte Cocktails zum Nachtisch.
Einzige Wehmutstropfen sind, dass unsere Freunde fehlen, die richtig guten, mit denen ein Glas Wein noch viel besser schmeckt ... und der brummende Schädel am nächsten Morgen.
Apropos Schütteln:
Am darauffolgenden Tag geht es gleich nach dem Zähneputzen mit voll Gas Richtung Hotsprings. Über Whistler, wo wir uns im Dorf etwas die Füsse vertreten, fahren wir in den kleinen Ort Pemberton. Von hier aus biegen wir in eine Strasse mit dem phantasievoll klingenden Namen «In-SHUCK-ch-Forest Service Road» ab. Dieser Dirtroad müssen wir nun noch für 60 Kilometer folgen, erst am türkisfarbenen Lillooet Lake entlang, dann durch dichte grüne Mischwälder bis hin zu den avisierten heissen Quellen.
Das entspannende Bad will aber verdient sein. Die Forststrasse verlangt uns alles an Energiereserven ab. So ein übles Wellblech hat die Welt noch nicht gesehen. Wir werden von oben bis unten durchgeschüttelt (So stelle ich mir etwa eine Session auf dem Power Plate vor) Hinter uns fliegen Gegenstände durchs Auto und der Lärm ist fast nicht zum Aushalten.
Wieder ein neuer Punkt auf der To Do-Liste: «Gegenstände offroadtauglich verstauen / befestigen»
Erst nach Sonnenuntergang finden wir die richtige Zufahrtsstrasse zum Sloquet Campground und den dazugehörenden Hotsprings. Auf einer Lichtung im Wald bleiben wir orientierungslos stehen, bis ein helles Licht immer näher auf uns zu kommt. Wir werden vom dunklen langhaarigen Campinghost begrüsst und über den Platz hier instruiert: «If you wanna stay for the night, it’s 15 Dollars … cash only! But you can use the hotsprings all night. Just take a flashlight with you, if you go down, the trail is steep and there are no lights. No toilets, showers or changing rooms down there. Drink plenty of water!»
Das Gebiet hier gehört einem First Nation-Stamm, dessen Name ich leider vergessen habe. Wir möchten gerne hier übernachten, bleibt uns ja auch nicht viel anderes übrig. Einziges Problem ist: Wir haben all unsere Canadian Dollar aufgebraucht, da wir morgen über die Grenze in die USA wollen. Ich biete ihm US-Dollar an, die er mit einem breiten Lachen im Gesicht dankend annimmt («But it is still 15 Dollars»). Jaja, nimm einfach, ich will jetzt baden.
Schnell suchen wir uns einen Platz im dunklen Wald, ziehen unsere Badesachen an und machen uns sogleich auf den Weg zu den Hotsprings. Leicht desillusioniert stapfen wir durch das dichte Laub, einen Weg gibt es nicht wirklich. Wir folgen nur den Stimmen, die aus der Ferne hörbar sind und setzen vorsichtig einen Fuss vor den anderen und arbeiten uns zwischen den hohen Bäumen im steilen Abhang vor. Kurz komme ich mir vor, wie in einem Horrorfilm.
Die Stimmen werden aber immer lauter und wir erleichtert. «Da vorne müssen sie sein!». Wir sehen Lichter durch die dichten tiefhängenden Äste der Tannen um uns herum durchscheinen. Es bleibt nur noch ein kleiner Fluss auf einem glitschigen Baumstamm zu überqueren, wir schieben die letzten Äste zur Seite und können dann die Umrisse dunkler Gestalten im Schein von einigen Kerzen erkennen. Wir hören die ruhigen Stimmen anderer Leute und das Plätschern der Quellen.
Als wir näherkommen, erhalten die Umrisse Inhalte und wir können es auf einmal glasklar erkennen: Die sind alle nackt! Nun erkennen wir auch die eingehenden Melodien von «The Mamas and the Papas» (Baadaa, badadada … Monday, Monday … so good to meee) und der Duft von Marihuana dringt in unsere Nasen. «Was genau hast du da für einen Ort ausgesucht?», fragt mich Mathias und schaut leicht irritiert zu mir rüber.
Ich zucke nur mit den Schultern und hüpfe etwas abseits von den anderen Badegästen in einen der zahlreichen natürlichen Pools. Endlich können wir nach diesem anstrengenden Tag unsere Glieder bei angenehmen 37°C aufwärmen und ausstrecken. In den Bäumen um uns herum hängen Traumfänger und die Umgebung ist stimmungsvoll mit Kerzen dekoriert. Eigentlich ganz schön, aber inmitten dieser Hippiekommune fühlen wir uns dann doch etwas fehl am Platz. Ich will gar nicht wissen, was die die ganze Nacht noch treiben hier. Schnell verschwinden wir wieder und fallen im Toyo in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen wachen wir früh auf und gehen gleich nochmals zu den Pools. Unsere Vermutung bestätigt sich. So früh ist noch niemand wach, so haben wir die ganze Oase mitten in der Natur für uns allein!
Gestärkt mit Kaffee und Frühstück fahren wir weiter. Ich habe auf der Karte gesehen, dass die Forest Road bis nach Harrison weiterführt, was ganz in der Nähe der US-Grenze liegt. Perfekt! So müssen wir nicht alles zurück und die gleiche Strecke zweimal fahren, was wir wie die Pest hassen. Allerdings sind es so noch über 100km, bis wir wieder in die Zivilisation kommen, wofür wir ca. 4 Stunden brauchen, wenn wir im gleichen Tempo, wie gestern fahren können. Wenn wir auf dieser Reise Eines haben, dann ist es Zeit. Der Entscheid war also schnell gefallen.
Schon nach einigen Kilometern wird die Strasse sehr eng und der Zustand verschlechtert sich zunehmend. Wir fragen uns auf einmal, ob es nicht doch etwas zu leichtsinnig von uns gewesen ist, ohne Informationen über die Strassenverhältnisse einfach drauflos zu fahren. Da wir aber jedes «Hindernis» gut überwinden konnten, fahren wir weiter … bis wir auf einmal vor einer Barrikade aus grossen Steinen halten müssen.
Da gibt es definitiv kein Weiterkommen mehr!
Etwas entfernt hören wir Bagger, zu denen wir hinlaufen. Da sehen wir dann auch den Grund für die Blockade. Ein heftiger Erdrutsch hat die Strecke unpassierbar gemacht. Die Forstarbeiter wundern sich etwas, dass sie uns hier antreffen, interessieren sich aber für unsere Reise. Nach ein paar Minuten Smalltalk verabschieden wir uns wieder. Sie wünschen uns eine gute Reise und empfehlen uns in den nächsten zwei Stunden besser nicht zu picknicken in der Nähe, da sie kurzum mit den Sprengungen beginnen würden.
Wohl oder übel müssen wir nun doch zurück. Erst über 100 Kilometer auf der Dirtroad bis nach Pemberton, dann über Whistler und weiter nach Vancouver.
Erst nach Sonnenuntergang passieren wir an diesem Abend die Grenze in die USA und ich schreibe hiermit den letzten Bericht aus Kanada. Auch wenn wir nicht sehr lange in diesem ersten Land unserer Reise waren und nur einen Bruchteil davon gesehen haben, bleiben uns die Erlebnisse in bester Erinnerung. Im zerklüfteten wilden Nova Scotia sind wir gestartet, sind durch kilometerlange Wälder in New Brunswick gefahren, haben romantische Städte in Québec besucht und in Ontario die grössten Wasserfälle von Amerika bewundert. In British Columbia und im Yukon haben wir unberührte Natur und ewige Weiten durchquert bis wir in den Northwest Territories am Ende der Welt gelandet sind.
Es gibt hunderte von Gründen zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu kommen!